Die totale Vertreibung des Anderen ins Meer Palästina und die Palästinenser

Politik

Es mehren sich in letzter Zeit einseitige Artikel, welche die islamistische Terrororganisation Hamas, die dem Islamischen Staat vergleichbar ist, zu einer Befreiungsbewegung hochjubeln.

Israelische Soldaten kontrollieren zwei Palästinenser in Nabi Salih, August 2014.
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Israelische Soldaten kontrollieren zwei Palästinenser in Nabi Salih, August 2014. Foto: Yaron Ben-haim (CC-BY-SA 4.0 cropped)

29. November 2023
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Das hatten wir schon einmal, als die USA in Afghanistan Al Quaïda zu einer Befreiungsbewegung deklarierte und ihren Aufbau unterstützte. Das Resultat sehen wir dort heute.

Die Menschenverachtung der Hamas-Kämpfer, deren politische Führung das Leben in Katar geniesst, haben sie mit ihrem Massaker deutlich gezeigt.

Im Folgenden will ich die Geschichte Palästinas darstellen, weil nur so der Konflikt verständlich wird und eine Lösung gesucht werden kann.

Palästina, die Region östlich und westlich des Jordan, wurde ursprünglich von nomadischen Stämmen aus Arabien besiedelt. Sie alle sprachen semitische Sprachen. Der Antisemitismus ist deshalb eine falsche Bezeichnung, weil nicht nur Hebräisch, sondern auch Arabisch, Amharisch oder Maltesisch semitische Sprachen sind. Bis 1918 war es eine Verwaltungseinheit des (muslimischen) Osmanischen Reiches gewesen, in dem Juden und Christen toleriert wurden und eine relative Autonomie genossen. Aber nach dem Niedergang des Reiches im 18. und 19. Jahrhundert war Palästina nur noch gering besiedelt.

Zu Beginn der jüdischen Besiedlung Ende des 19. Jahrhunderts lebten in Palästina weniger als 500.000 Menschen, überwiegend muslimische, aber auch jüdische und christliche Araber.

2/3 lebten auf dem Land, es gab nur wenige und entsprechend kleine Städte. Jüdische Europäer (Baron Rothschild insbesondere) und US-Amerikaner finanzierten Landkauf (vor allem für Wein-Anbau) und halfen russischen Juden, vor Pogromen nach Palästina zu fliehen. Die zionistische Bewegung entstand, deren radikale Vertreter aus der israelischen Geschichte ein Anrecht ableiteten und in der Folge auch mit Waffengewalt durchsetzten. Sie gleichen damit den Vertretern auf islamischer Seite, die alle Juden ins Meer vertreiben wollen.

Nach der früheren Blütezeit war Palästina 1918 jedoch noch immer dünn besiedelt.

Am Ende des 1. Weltkriegs geriet Palästina unter die Vormundschaft der Briten, weil das Osmanische Reich seine Kolonien abgeben musste. Die Briten teilten sich die Beute mit den Franzosen und bekamen 1920 das Gebiet Cisjordanien vom Mittelmeer bis zum Jordan und 1921 auch noch Transjordanien auf der anderen Seite des Jordan.

Damals waren von 800.000 Menschen in diesem Palästina 600.000 Muslime, 84.000 Juden, 73.000 Christen und 7.000 Drusen. Ausserdem lebten nomadische Beduinen dort, vorwiegend im Osten. 1933 wurde die Gesamtbevölkerung Transjordaniens auf 300.000 geschätzt, davon waren 170.000 Beduinen. Der westliche Teil war also etwas stärker bevölkert, obwohl er grösser war. Die Briten liessen Transjordanien von einem Emir verwalten und bauten eine militärische Einsatztruppe auf, die „arabische Legion“.

Zur Auflage wurde den Briten vom Völkerbund gemacht, die britische Balfour-Deklaration zu erfüllen, in Palästina eine „nationale Heimstätte für das jüdische Volk“ zu errichten. Die Anzahl der Juden, die ins Land gelassen wurden, war jedoch beschränkt, so dass viele Flüchtlinge (insbesondere im 2. Weltkrieg) nicht hineingelassen wurden. Zugleich gab es Einwanderung von arabischer Seite (mehr als von jüdischer) und Terrorakte gegen Juden.

Ein grosser Konfliktbereich war der Verkauf von Ländereien an Juden, denn die arabischen Grossgrundbesitzer lebten nicht in Palästina, sondern ihr Land wurde von arabischen Fellachen bestellt. Denen gehörten die Olivenbäume oder Weinreben auf dem Land, was die Juden beim Aufbau ihrer Kibbuzim nicht berücksichtigten. Jerusalem war getrennt von dem übrigen Land und wurde von einem arabischen Mufti regiert, der auch Präsident der arabischen Gemeinschaft war. Er sympathisierte mit Hitler und leitete den arabischen Aufstand von 1936 bis 1939. Auf jüdischer Seite entstanden ebenfalls paramilitärische Einheiten.

1945 wurde die Arabische Liga gegründet (Ägypten, Libanon, Jemen, Irak, Saudi-Arabien, Syrien, Emirat Transjordanien). Ihr Ziel war, den Zionismus zu bekämpfen, das jüdische Gemeinwesen Yischuv zu vernichten und die jüdischen Einwohner Palästinas zu vertreiben. Sie beschlossen einen Wirtschaftsboykott, der auch von Bahrain und Kuweit mitgetragen wurde. 1946 erhielt der Osten Palästinas die Unabhängigkeit von Gross-Britannien und wurde das Königreich Jordanien. Dem Teilungsplan der UNO 1947 stimmte der König zu, aber er wollte nicht nur Transjordanien erhalten, sondern auch noch Gebiete westlich des Jordan.

Nach der Gründung Israels im Mai 1948, erklärte die Arabische Liga sofort den Krieg und erlitt eine militärische Niederlage. Sie musste den Teilungsplan und die Existenz des Staates Israel hinnehmen. Allerdings erhielt Jordanien das Westjordanland einschliesslich West-Jerusalem. Etwa 750.000 Araber flüchteten in den beiden Kriegsjahren, und ebenso viele Juden wurden aus den arabischen Staaten nach Israel vertrieben. Israel lehnte die Rückkehr von Flüchtlingen ab, die aber auch nicht von den arabischen Staaten (ausser Jordanien) integriert wurden, sondern als Staatenlose ihre Dasein fristeten (zum Teil bis heute).

1964 wurde der Palästinensische Nationalrat mit der Palästinensischen Befreiungsbewegung PLO auf Initiative Ägyptens gegründet, um eine panarabische Vertretung der arabischen Palästinenser zu haben. Sie sollte über den Konflikten der arabischen Staaten stehen und Teil der arabischen Nation sein, die sich auf die arabische Sprache und Kultur gründet. Es gibt auch den Panislamismus und den Pansyrismus, aber die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Richtungen (allen voran Schiiten und Sunniten) ist deutlich stärker. Selbst die Feindschaft gegen Israel war nie so stark wie die Konkurrenz zwischen den arabischen Staaten.

Im Juni 1967 kam Israel dem geplanten Angriff der PLO und einiger arabischer Staaten (Syrien, Ägypten, Jordanien – unterstützt von der Sowjetunion) zuvor und eroberte das Westjordanland und die Golanhöhen. Ausserdem besetzte es den Gazastreifen und den Sinai. Israel bot den Drusen die Staatsbürgerschaft an (ziemlich erfolglos), die arabischen Palästinenser wurden vertrieben. Der Sechs-Tage-Krieg löste also wieder eine Welle von Flüchtlingen aus, die zur Machtbasis der Fatah (Bewegung zur nationalen Befreiung Palästinas) unter Arafat wurden. Die 1959 gegründete Guerillaorganisation proklamierte den bewaffneten Kampf und bediente sich auch terroristischer Mittel. Arafat wurde Chef der PLO. Die Rote Armee Fraktion RAF (Baader-Meinhof-Gruppe) erhielt von der PLO 1970 eine Einführung in Waffentechnik, um das Konzept der Stadtguerilla in der Bundesrepublik umzusetzen. Die Mittel der Befreiung waren auch bei der RAF Geiselnahmen und Tötung von verhassten Gegnern.

Die Schmach der Niederlage im Sechs-Tage-Krieg 1967 wurde von der PLO 1968 in der „Schlacht von Karame“ überwunden. Jedenfalls liessen Arafat und die Fatah sich als Helden feiern, weil sie Israels Truppen (gemeinsam mit Armee-Einheiten Jordaniens) zurückgeschlagen hatten. Karame war ein jordanisches Flüchtlingslager der UN mit 30.000 Flüchtlingen an der Grenze nach Israel. Von Karame aus machte die Fatah Überfälle und Bombenattentate. Israel zerstörte dieses Lager vollständig, die Fatah musste weichen.

Die Palästinensische Nationalcharta schrieb die Zerstörung Israels 1968 in ihre Satzung.

Im Oktober 1973 überraschten Ägypten und Syrien mit einem neuen Krieg. Die Rückeroberung der verlorenen Gebiete gelang zwar nicht, aber Ägypten und Israel schlossen einen Friedensvertrag und begannen mit einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit.

1982 griff Israel in den Bürgerkrieg im Libanon ein, wo die PLO an der Grenze nach Israel stationiert war, nachdem sie von Jordanien vertrieben worden war. Israel zerstörte ihre Basis und vertrieb sie nach Tunesien, Algerien, Irak und Jemen. Arafat ging nach Tunesien ins Exil.

Die terroristische Organisation der Muslimbrüderschaft wurde 1928 in Ägypten als ein Kampfbund gegründet, der Märtyrer verherrlicht und für einen islamischen Staat kämpft, sich aber zugleich durch soziale Werke Rückhalt in der Bevölkerung verschaffte. Daraus ging in Ägypten „Al-Qaida“ hervor, in Syrien der „Islamische Dschihad in Palästina“, beides erklärte Terrororganisationen. 1987 wurde die Muslimbrüderschaft der Hamas im Gaza-Streifen gegründet. 1988 verzichtete Jordanien auf das Westjordanland. Die PLO war geschwächt und hatte an Einfluss verloren, die radikaleren Gruppierungen dominierten. Mitte der 90er Jahre war der Palästinensische Nationalrat zwar bereit zu einem Friedensprozess, den Rabin und Arafat aushandeln wollten, doch wurde Rabin von einem rechtsradikalen Israeli erschossen.

Die PLO unterstützte den Irak, als er 1991 gegen Kuwait in den Krieg zog. Nach der Niederlage wurden 450.000 Palästinenser aus Kuweit vertrieben.

Seitdem ist die PLO geschwächt und auf beiden Seiten stehen sich die Hardliner gegenüber. Israel verfolgt die Unterdrückung und Vertreibung der arabischen Palästinenser mit allen Mitteln. Die PLO lässt sich bestechen und schaut widerspruchslos zu. Nur vom Gaza-Streifen aus terrorisiert die Hamas (unterstützt von Katar und Iran) die israelische Bevölkerung, mehr als Überfälle sind nicht möglich, denn der kontinuierliche Raketenbeschuss ist keine wirkliche Bedrohung der Existenz Israels.

An dem Patt wird sich nichts ändern, denn die wichtigen arabischen Staaten Iran, Saudi-Arabien, Ägypten und Türkei haben andere Probleme und rivalisieren untereinander um die Vorherrschaft. Israel hat die Hamas vermutlich finanziell unterstützt und durch Forcierung der Siedlung und Vertreibung der islamischen Bevölkerung provoziert, dass sie ihre Machtbasis im Gazastreifen falsch einschätzte und ein kollektives Selbstmordattentat beging.

Ihre Bereitschaft zum Märtyrertod haben die Hamas-Kämpfer damit bewiesen, aber zugleich den israelischen Hardlinern freies Feld geschaffen. Nicht Rache, Auge um Auge, ist die Devise Israels, sondern jüdische Alleinherrschaft. Die Terror-Organisationen sind sich ihrer Ohnmacht und Handlanger-Schaft nicht bewusst. Selbst eine iranische Atombombe würde nur bewirken, dass dieser schmale Küstenstreifen Palästina unbewohnbar würde.

Beide Seiten wollen dasselbe: die totale Vertreibung des Anderen ins Meer: Eine Lösung des Dilemmas kann nur von aussen kommen, indem alle wichtigen Unterstützer des Konfliktes sich auf eine Lösung verständigen und sie durchsetzen. Das kann nur ein einziges laizistisches Palästina sein, in dem Religion Privatsache ist und weder Juden, noch Moslems dominieren.

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